Zeit und Wahrnehmung
„Hast du heute Zeit?“ Wie oft habe ich diese Frage schon gestellt oder gestellt bekommen? Dutzende Male, aber wirkliche Zeit *haben* wir ja nie, oder? Das ist unmöglich, nicht wahr? Ja, ich weiß, es ist anders gemeint, aber als ich darüber nachdachte, fiel mir die ironische Wendung darin auf. Der Mensch, dieses sogenannte überlegene Wesen mit all seiner Intelligenz, erfindet etwas, das alles verkompliziert: die Zeit.
Ja, ja, ich höre das „Aber…“ schon. Klar, für manche technischen Dinge wie das Internet ist sie praktisch. Und als Chef würde ich definitiv wollen, dass meine Angestellten genau so lange arbeiten, wie ich sie bezahle. Aber der Rest? Brauchen wir die Zeit im Alltag wirklich?
Nehmen wir zum Beispiel die acht Stunden Arbeit. Das ist überschaubar, ein Drittel des Tages. Ein weiteres Drittel ist Schlaf (oder sollte es sein). Ein Drittel lässt sich eben leichter visualisieren als ein Vierundzwanzigstel. Aber sind wir mal ehrlich: Wir wissen doch gar nicht, wie „lang“ das wirklich ist. Genauso ist es mit der Temperatur. Wenn ich dir sage, es hatte -10 °C, weißt du zwar, es waren -10 °C, aber ich könnte genauso gut sagen: „Ich musste eine dicke Winterjacke anziehen.“ Denn die „gefühlte“ Temperatur hängt immer von äußeren und vor allem von persönlichen Faktoren ab.
Bei der Temperatur ist der „normale“ Bereich noch relativ vorhersehbar, aber bei der Zeit? Da bricht alles zusammen. Zeit ist relativ im Quadrat. Es geht nicht nur darum, wie schnell du dich durch den Raum bewegst, sondern auch, wie du es subjektiv wahrnimmst.
Die Zeit als Konzept ist paradox. Einerseits ist sie für eine fortschrittliche Gesellschaft wie unsere irgendwie wichtig, andererseits schränkt sie uns massiv ein. Ohne Zeit könnten wir sie nicht verschwenden. Ohne Zeit gäbe es kein Alter, und du bist sowieso so alt, wie du dich fühlst, also können wir das getrost über Bord werfen. Ohne verschwendete Zeit würden wir sie auch nicht vermissen, denn sie zurückzudrehen ist unsinnig. Wir können es nicht und werden es wahrscheinlich auch nie können. Solange du zufrieden bist, und sagen wir bewusst zufrieden, nicht glücklich, ist alles in Ordnung. (Wobei wir erst mal den Unterschied klären müssten. Für mein Gefühl steht „glücklich“ über „zufrieden“. Zufrieden ist die Mitte, glücklich darüber, unglücklich darunter.)
Ich bin nicht sicher, worauf das alles hinausläuft oder was der eigentliche „Punkt“ ist. Hoffentlich regt es dich einfach zum Nachdenken an. Ich finde die Idee faszinierend: Was wäre, wenn Zeit nur eine weitere Maßeinheit wie Gewicht oder Spannung wäre und wir unser Leben nicht komplett danach ausrichten würden? Es ist vielleicht ein radikales Beispiel, aber Menschen kommen im Alltag auch bestens zurecht, ohne die genaue Masse des Higgs-Bosons zu kennen.
(Ich weiß nicht, ob oder wann ich das veröffentlichen werde, ob in dieser Form oder ob ich noch etwas ändere. Ich nehme mir mal ein bisschen Zeit, um darüber nachzudenken 😃)
Ich habe mir ein ‚bisschen‘ mehr Zeit genommen, aber nichts geändert, nur das hier hinzugefügt:
Vielleicht liegt das Ziel nicht darin, unsere Zeit besser zu managen, sondern darin, mehr Momente zu schaffen, in denen wir gar nicht das Bedürfnis verspüren, sie zu managen. Momente, in denen die Zeit als Konzept einfach verschwindet.