Warum der Spiegeltest versagt: Was eine Katze über Bewusstsein und KI verrät
Der ganze Hype um die Künstliche Allgemeine Intelligenz (AGI) wird uns einer Sache keinen Schritt näher bringen: einem wahren Verständnis des Bewusstseins. Und genau das ist das entscheidende, fehlende Puzzleteil, über das wir gleichzeitig alles und nichts wissen.
Aber was ist Bewusstsein wirklich? Ist es nur die Erkenntnis des eigenen Selbst?
Ich denke (ich begreife meine Existenz), also bin ich (bei Bewusstsein)?
Jahrzehntelang hat sich die Wissenschaft auf ein scheinbar einfaches Werkzeug verlassen, um diese Frage zu beantworten: den Spiegeltest. Das Konzept ist simpel: Man platziert eine Markierung auf dem Körper eines Tieres und schaut, ob es sein Spiegelbild als sich selbst erkennt, indem es die Markierung an seinem eigenen Körper berührt. Wenn es das tut, setzen wir ein Häkchen in die „Bewusstsein“-Box. Aber ist es wirklich so einfach?
Die Grenzen eines Spiegelbildes
Das Problem mit dem Spiegeltest ist, dass er eine einzige Handlung, das Berühren einer Stelle, dem riesigen, komplexen Konzept des Selbstbewusstseins zuschreibt. Er geht von einer bewussten, überlegten Entscheidung aus. Aber was, wenn die Handlung gar keine Entscheidung ist? Was, wenn es sich nur um einen hochentwickelten Reflex handelt? An dieser Stelle brauchen wir eine andere Perspektive. Obwohl es wahrscheinlich einen wissenschaftlichen Begriff dafür gibt, vielleicht etwas im Zusammenhang mit Empathie, braucht es für unsere Zwecke einen Namen. Nennen wir es also, dem Argument zuliebe, die „Generalisierte Erweiterte Katzen-Knopf-Theorie“. Ich spüre, dass das Wort „Extrapolation“ fehlt, aber davon verschone ich euch vorerst.
Die Katzen-Knopf-Theorie
Um das Konzept der GEKKT zu verstehen, muss man zuerst die (einfache) Katzen-(Leck-)Knopf-Theorie verstehen. Vereinfacht ausgedrückt, besagt die Theorie, dass jede Katzenart (Leck-)Knöpfe an zufälligen Stellen auf ihrer Wirbelsäule bis zum Schwanzansatz hat. Sie prognostiziert auch, dass eine Katze ohne einen offensichtlichen (Leck-)Knopf ihren ersten theoretisch vorkommenden (Leck-)Knopf hinter ihrer tatsächlichen Größe hat (sie ist zu klein, um ihn zu haben). Wenn diese nervenreichen Regionen stimuliert werden, lösen sie eine spezifische, unwillkürliche Reaktion aus, oft ein Lecken. Ob man dies als direkten Reflex oder als eine Form von „Übersprungshandlung“ betrachtet, der entscheidende Punkt ist, dass die Handlung weithin als unwillkürlich gilt.
Wenn also ein Tier im Spiegeltest nach dem aufgemalten Punkt greift, erleben wir dann einen tiefgreifenden Moment der Selbsterkenntnis? Oder haben wir nur unwissentlich einen neurologischen „Knopf“ gedrückt, der eine scheinbar absichtliche Handlung auslöst?
Das Gehirn als Geschichtenerzähler: Unser eigenes Rechtfertigungsmodul
Bevor wir das abtun, sollten wir unsere eigenen Gehirne betrachten. Wir alle haben etwas Ähnliches erlebt. Denk an den Moment, wenn du kurz vor dem Einschlafen bist und dein Körper plötzlich zusammenzuckt. Wenn du dann vollständig aufwachst, hat dein Gehirn, ein meisterhafter Geschichtenerzähler, oft schon einen Grund dafür erfunden. Ich zum Beispiel bin davon aufgewacht, überzeugt, ich hätte geträumt, auf einem Bahngleis zu rennen, und der Tritt war mein Stolpern über eine Bahnschwelle. Das ist unser „Rechtfertigungsmodul“ bei der Arbeit, das eine Erzählung für ein körperliches Ereignis schafft, das es anfangs nicht versteht. Das beweist, dass selbst bei Menschen die Grenze zwischen einer Handlung und einem bewussten Grund dafür verschwommen ist.
Mondfische, die normalerweise ein einsames Leben bevorzugen, sind von Natur aus neugierig und neigen dazu, sich Tauchern in freier Wildbahn zu nähern.
X / @shimonoseki_aq
Dieser unerbittliche Fokus auf die Selbsterkennung übersieht auch einen viel grundlegenderen Punkt, der durch einen einsamen Mondfisch in einem japanischen Aquarium perfekt illustriert wird. Als das Aquarium im Dezember 2024 wegen Renovierungsarbeiten schloss, wurde der Mondfisch durch den Mangel an Besuchern so depressiv, dass er aufhörte zu fressen. Die geniale Lösung des Personals? Sie stellten Pappaufsteller von Besuchern vor das Becken, um ihn aufzuheitern.
Das wirft eine entscheidende Frage auf: Spielt es eine Rolle, ob der Mondfisch sein eigenes Spiegelbild erkennen kann? Er kann eindeutig Traurigkeit und damit wahrscheinlich auch Depression empfinden. Ist die Fähigkeit zu leiden und Freude zu empfinden nicht ein weitaus tiefgreifenderer Indikator für ein reiches Innenleben als das bloße Bestehen eines visuellen Tests? Vielleicht ist das Bewusstsein nicht der richtige Maßstab; vielleicht ist es das Unterbewusstsein, das wirklich die Kontrolle hat.
Warum eine echte AGI noch ein Wunschtraum ist
Und deshalb ist der Weg zur AGI weitaus länger und komplexer, als ihre Befürworter zugeben. Wir stecken Milliarden in die Erschaffung künstlicher Intelligenzen, aber wir verwenden immer noch rudimentäre Werkzeuge wie den Spiegeltest, um die natürlichen zu verstehen.
Wenn wir bei einem Tier einen Moment tiefgreifender Selbsterkenntnis nicht definitiv von einem unwillkürlichen Zucken unterscheiden können und wenn unsere eigenen Gehirne Geschichten erfinden, um unsere Reflexe zu erklären, wie können wir dann hoffen, wahres Bewusstsein in einer Maschine zu erschaffen oder auch nur zu erkennen? Nach manchen Definitionen sind wir nahe an einer AGI, und das mag stimmen. Aber wenn ihr das AGI nennt, nenne ich meinen Blog den Nachfolger von Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“.
Für mich ist das nicht nur eine philosophische Übung. Seit sich der „Nebel“ in meinem Gehirn gelichtet hat, habe ich ein viel besseres Verständnis für diese Mechanismen in meinem eigenen Leben gewonnen. Es fühlt sich an, als ob mein Unterbewusstsein mich vor etwas beschützt hätte. Das ist auch der Grund, warum ich bei bestimmten Ideen ziemlich stur bin; ich habe ewig dieselben Vorschläge befolgt, und sie haben nicht funktioniert. Jetzt habe ich meine Augen geöffnet und ich sehe. Ob es dir gefällt oder nicht.